Unsere Sicherheitsdebatte und Diskussionskultur ist kaputt

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. – Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz

Das Grundgesetz ist in seiner Sprache klar verständlich. Auch deshalb ist es für mich eine sehr gute Verfassung. Eine Verfassung zeichnet sich, als rechtliche Grundlage unseres Gemeinwesens, auch dadurch aus, dass man sie versteht. In unserem Grundgesetz wird klar beschrieben, dass Diskriminierung verboten ist. Man kann darüber diskutieren, ob das Grundgesetz an dieser Stelle nicht ergänzt werden müsste.

Seit einigen Tagen gibt es nun eine lebhafte Debatte darüber, ob die Polizei in Köln Menschen diskriminiert hat. Dabei scheint es nur noch Schwarz und Weiß zu geben. Entweder man lobt die Polizeiarbeit und kommt zu dem Ergebnis, dass der Einsatz ein Erfolg war, oder man übt Kritik an der Polizei und hält ihre Arbeit für falsch. Einige Grautöne dazwischen gibt es offenbar nicht mehr. Man kann aber die Arbeit der Polizist*innen auch wertschätzen und zugleich Fragen haben und Kritik üben. In einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat muss dies auch sachlich möglich sein. Ich nehme mir – gerade als jemand, der die Arbeit der Polizei wertschätzt – das Recht heraus diese auch, wenn es geboten ist, zu kritisieren. Umgekehrt lobe ich auch, wenn ich ihre Arbeit gut finde.

Dabei ist das Bild aber durchaus differenzierter. Die Polizei stand enorm unter Druck. Wahlloses Geböller in der Menschenmenge, das oft leichtfertig Verletzungen anderer Menschen in Kauf nahm, sollte unterbunden werden. Auch das zahlreiche Begrapschen von Frauen, das oft auch von Diebstählen begleitet wurde, musste unterbunden werden. Dabei hat die Polizei vieles richtig gemacht. Um die Domplatte herum wurde eine böllerfreie Zone eingerichtet. Auch das Personal wurde deutlich aufgestockt. Dies war 2015/16 ein Hauptgrund dafür, dass die Situation außer Kontrolle geriet. Auch wurde Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, Hilfe durch professionelles Personal zugesichert. Frauen konnte sich, nachdem sie Opfer einer Gewalttat wurden, an Vertrauenspersonen wenden. Das alles waren gute Maßnahmen, die den Jahreswechsel 2016/17 für viele Menschen friedlich ermöglichte und ein entspanntes Feiern auf der Domplatte möglich machte.

Einen Makel erhielt der Polizeieinsatz, als die Polizei durch einen Tweet Nordafrikaner als „Nafris“ bezeichnete. Den Fehler hat die Polizei auch eingesehen, aber es gibt durchaus berechtigte Debatten darüber, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Die Polizei spricht sowohl davon, dass damit lediglich Menschen aus bestimmten Staaten, wertfrei, zu bezeichnen sind. Andere sprechen davon, dass der Begriff auch explizit Straftaten mitkonnotieren soll. Beides hat durchaus seine problematischen Seiten, wie Anatol Stefanowitsch zeigt, auch wenn ersteres lediglich ein „Arbeitsbegriff“ wäre.

Dazu kommt der Aspekt, ob die Polizei Racial Profiling angewendet hat, oder nicht. Es gibt zahlreiche Berichte, die das nahe legen. Wenngleich man natürlich darüber diskutieren muss, ob es nicht organisierte Gruppen gibt, die zum Krawallmachen nach Köln gereist sind (und offenbar zu großen Teilen aus nordafrikanischen Staaten kommen). Der Verdacht liegt ebenfalls in der Luft. Frage ist: Rechtfertigt das diese Vorgehen?

Dass die Polizei aggressive Menschen und Leute, die schon ordentlich getankt haben, des Platzes verweist und da, in Anbetracht der Vorgeschichte, auch in Teilen etwas „großzügiger“ Platzverweise ausspricht, finde ich angemessen und nachvollziehbar. Aber Menschen per Hautfarbe am Bahnhof zu sortieren sehe ich dennoch enorm kritisch. Viele Menschen halten dies aber inzwischen für notwendig obwohl sie wissen, dass es rassistisch ist und auch dem oben zitierten Grundgesetz widerspricht. Die Frage, die oft mitschwingt: Vielleicht ist ein bisschen Rassismus ja gar nicht sooo schlimm? Und ich finde das schon bedenklich, wie weit der Diskurs nach rechts verschoben wurde. Wo soll das denn hinführen? Wenn wir im Bundestagswahlkampf dann über die Ehe für alle diskutieren, ist plötzlich die Frage legitim, ob denn Homosexualität nicht „zumindest etwas unnormal“ sei? Irgendwann wird dann für Personengruppen das Wahlrecht infrage gestellt? „Vielleicht ist das Wählen gar nichts für Frauen?“ Das würde meines Erachtens die Büchse der Pandora öffnen.

Racial Profiling ist aber nicht nur problematisch, weil es das Leben von Menschen aus rassistischen Gründen erschwert, sondern auch, weil es Sicherheit nicht erhöht, sondern das Sicherheitsgefühl der Menschen schmälert. Viele Menschen denken, dass die Kontrollen einen guten Grund haben und da ja auch nur Leute mit „Dreck am Stecken“ kontrolliert werden. Das zeichnet jedoch ein falsches Bild diverser Personengruppen und sorgt so dafür, dass Weiße sich dann unwohl in der Nähe dieser fühlen. In den allerallermeisten Fällen ist dies völlig grundlos der Fall. Das Sicherheitsgefühl der Menschen ist dann aber gesenkt. Durch die Ausgrenzung verhalten sich dann die Kontrollierten in Zukunft erst Recht auffällig (bspw. durch wegrennen, weil sie sich der Kontrolle entziehen wollen). Das kann auch dazu führen, dass sie als Opfer von Straftaten sich nicht mehr an die Polizei wenden. Im Extremfall ist das Vertrauen in die Polizei so weit flöten gegangen, dass sie Straftäter*innen nicht mehr fassen kann, weil die Ermittlungsarbeit behindert wird, weil das entsprechende Umfeld nicht mehr kooperiert und Aussagen verweigert. Mit diesem Hilfsmittel steht sich die Polizei also selbst im Weg.

In der ganzen Debatte wird jetzt aber nun alles vermengt. Kritiker*innen wird vorgeworfen, dass sie kein Interesse an Verhinderung sexualisierter Gewalt haben. In vielen Fällen ist das schon deshalb Blödsinn, weil viele Kritiker*innen auch Unterstützer*innen von Aufschrei waren. Und es ärgert mich, dass wir jetzt über sexuelle Gewalt von Ausländern und Flüchtlingen diskutieren (können), aber vor paar Jahren jeder, der den Hashtag #Aufschrei nutzte, als „linker Spinner“ oder „Femnazi“ beschimpft wurde. Ganz so, als ob es gute und schlechte sexuelle Gewalt gäbe. Über Dinge wie #Gamergate haben wir dabei noch gar nicht gesprochen. Auch wie Kritikerinnen gerade Vergewaltigungen an den Hals gewünscht werden, zeigt doch, dass dieser pöbelnde Mob gar kein Interesse an der Stärkung von Frauen(rechten) hat. Mal ganz davon abgesehen, dass die meisten sexuellen Übergriffe in der eigenen Familie stattfinden, was ich ganz besonders schlimm finde.

Die Debatte ist weiter geprägt von „Law and Order“-Gedanken und Aktionismus. Statt mal in Ruhe zu analysieren, wer eigentlich wann, wie und wo Straftaten verübt und in welchem Umfeld dies geschieht, überbietet man sich mit kurzfristigen Vorschlägen: Schneller! Höher! Weiter! Mehr Befugnisse! Es bleibt keine Zeit genau hinzugucken. Dabei kommen viele Aspekte in der Debatte gar nicht vor: Fragen der Resozialisierung von straffällig Gewordenen werden ebensowenig debattiert wie Präventions- und Jugendarbeit. Wir sprechen auch immer davon, dass Straftäter*innen schnell abgeurteilt werden sollen, damit sie früh merken, dass sie Mist gebaut haben. Wenn es aber darum geht Gerichte personell besser auszustatten, dann ist dafür kein Geld da. Und über Steuererhöhungen darf man ja gar nicht mehr reden, völlig egal, was man mit dem Geld Sinnvolles plant.

Schlussendlich wird dann in diese Sicherheitsdebatte das Asylrecht mit eingebunden. Dabei bleibt das Konzept der „Sicheren Herkunftsländer“ falsch und wird Deutschland keinen Deut sicherer machen. Kriminelle können schon jetzt abgeschoben werden. „Kuscheljustiz“ und mildere Strafen für ausländische Täter*innen bleiben ein rechter Mythos. Bei „Gefährdern“ haben wir ein Problem der fehlenden Rechtsdurchsetzung, nicht fehlender Rechtsgrundlage. Der Fall Amri/Berlin hat das deutlich gezeigt. Das ist alles blinder Aktionismus und wir lassen uns von Nazis in der Debatte treiben, nur weil sie keine Springerstiefel mehr tragen. Das kann doch beim besten Willen nicht Grundlage grüner/unserer Innenpolitik werden. Das hilft doch langfristig auch keinem. Auch wenn es in diesen Zeiten schwer ist stramm zu stehen: Es braucht eine andere Innenpolitik. Viele Akteure haben keine Lösung parat. Stattdessen schleift man Grund- und Menschenrechte. Wo soll das denn am Ende hinführen?

Wir sprechen immer davon, dass wir unsere Werte verteidigen müssen. Da stimme ich zu. Ich sehe sie nur nicht durch Menschen von außen, sondern durch uns selbst gefährdet. Wir lähmen uns vor lauter Angst und Zweifel. Und wer seinen Mund aufmacht, wird niedergebrüllt. Dabei lassen große Teile der Bevölkerung jeglichen Anstand vermissen. Ich habe das selbst im Landtagswahlkampf erfahren. Beschimpfungen als „Grüner Kinderficker“, „Volksverräter“, „Vollwichser“ und viele weitere Beleidigungen gehörten zum täglichen Geschäft dazu. Wir dürfen uns politische Debatten aber nicht von Menschen, die eine solche Wortwahl an den Tag legen, kaputt machen lassen.

Ich befürchte nur, dass das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Und zu allem Überdruss: September 2017 ist Bundestagswahl…

Artikel kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.