Durch das Ergebnis der Landtagswahl 2013 ist leider die Fortführung der erfolgreichen Grün-Roten Landesregierung nicht möglich. Da sich die FDP feige aus der Verantwortung gestohlen hat, blieb als einzige Koalitionsoption Grün-Schwarz übrig. Nach intensiven Verhandlungen gibt es nun das Ergebnis.
Als LDK-Delegierter möchte ich mit diesem Beitrag den Koalitionsvertrag bewerten und herausarbeiten, wie ich zu ihm stehe. Dazu picke ich mir – teilweise – natürlich Punkte heraus, die mir persönlich wichtig sind.
Zu Beginn macht der Koalitionsvertrag die Position zum – zurecht! – umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP deutlich. Dort steht kein „Nein“ zu TTIP, aber steht da dadurch ein „Ja“? Die Koalition sieht in TTIP „Chancen, aber auch Risiken“ und wird daher die Zustimmung von „der Einhaltung unserer für die EU vereinbarten Standard in den Bereichen Verbraucherschutz und Verbraucherrechte, Arbeitsschutz, Umweltschutz, […] abhängig machen.“ (S. 17) Mit dieser Position kann ich sehr gut leben. Ich finde sie so auch richtig: Freihandel ja, aber eben nicht um jeden Preis.
Wie ein roter Faden zieht sich das Thema Digitalisierung durch den Vertrag. Das gefällt mir! Denn: Deutschland hinkt international hinterher und wird teilweise abgehänkt. Gut, wenn eine Landesregierung diesen Themenkomplex intensiver herangehen will. Das ist durchaus ein gutes gemeinsames „Großprojekt“, dass diese Koalition angehen möchte.
Breitbandausbau (Glasfaser vor Kupfer! S. 17) ist dafür für diese Koalition ebenso wichtig, wie auch das mobile Netz. Hier möchte das Land „Anreize für die lückenlose Erschleißung“ (S. 18) prüfen und vor allem an Bahnstrecken und Autobahnen prioritär tätig werden.
Auch möchte das in Sachen E-Government voran kommen und eine, durch das Informationsfreiheitsgesetz geförderte, offene Verwaltungskultur stärken (S. 18). Den mit den Geodaten begonnenen Weg in Sachen Open Data will man weiter gehen (S. 68). Hier fehlt mir aber etwas der Aspekt, dass man die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Chancen mehr herausgearbeitet hat. Auch, dass man die Kommunen an die Hand nimmt, hier tätig zu werden, hätte ich mir gewünscht. Denn gerade kleinere Kommunen sind hier schnell personell und fachlich überfordert.
Die Koalition will sich außerdem gegen die Störerhaftung und für offene WLANs engagieren. Auch WLAN-Zugangspunkte in Bus und Bahn sollen kommen (S. 18). Von Freifunk-Förderung ist direkt nicht die Rede, aber kann man da durchaus reinlesen. Auch der Informatikunterricht soll gestärkt werden (S. 30, 32, 72). Die Archive aus dem Kunstbereich sollen öffentlich zugänglich gemacht werden (S. 44). Dies ist ein Aspekt, den man auch gut mit Open Data verbinden kann.
Im Bildungsbereich will die Koalition mehr Freie Software einsetzen (S. 32). Das finde ich gut! Das sollte nur auch die eigene Verwaltung und die Kommunalverwaltungen betreffen. Hier gäbe es durchaus wirtschaftliche Aspekte, dass man IT-Unternehmen vor Ort leichter an Ausschreibungen partizipieren lassen kann, denn große Weltkonzerne, weil man sich an diese gebunden hat.
Bisschen skeptisch bin ich bei dem Bildungsplan-Punkt auf Seite 32: „Das Instrument der Leitperspektiven werden wir auf seine Umsetzbarkeit und Praxistauglichkeit prüfen.“ Ich hoffe, dass das nur eine Art Schönheitskorrektur ist und an den Kern des Bildungsplanes nicht herantritt: Queeren Lebensrealität im Unterricht zu thematisieren. Aber ich bin kein Bildungspolitiker und kann das nur schwer einschätzen, wieviel Auswirkung das wirklich hat. Ich bin zumindest beim Lesen drüber gestolpert.
Ein Punkt der mich gestört hat, war die Idee an Universitäten die Online-Wahl einzuführen (S. 37). Online-Wahlen und demokratische Wahlgrundsätze gehen halt einfach nicht zusammen. Irritiert hat mich der Punkt, dass man die „starke Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Bachelor-Studiengänge“ reduzieren will. Auch meine Frage auf der Regionalkonferenz konnte nicht wirklich eine für mich befriedigende Antwort erbringen. Ich weiß immer noch nicht, was mit diesem Punkt gemeint ist. Dafür hat man aber Open-Access im Hinterkopf, wie das Nachlesen auf Seite 40-41 zeigt. Auch ein wichtiger Punkt: Die Abschaffung der Studiengebühren bleibt bestehen und es wird weiterhin die Möglichkeit für Studierende geben selbst über Gelder an den Hochschulen zu bestimmen (S. 42).
Im Umweltbereich gibt es zu Fessenheim eine klare Position: Abschalten! (S. 54 und 122). Beim Textteil zu Fracking bin ich etwas unsicher, ob der Formulierung. Aber vielleicht bin ich hier nur übersensibel? Zum Einen steht in der Überschrift klar „Fracking verhindern!“ Auch im ersten Abschnitt wird diese Forderung gleich bekräftigt. Später wird aber davon gesprochen, dass Fracking nur problematisch ist mit „umwelttoxischen Stoffen“. Kein Wort dazu, dass es einfach nicht sinnvoll ist jeden Tropfen Öl und Gas aus der Erde zu pressen. Dann folgt eine Spezisierung, wo Fracking verboten werden soll. Folgt daraus, dass woanders Fracking erlaubt wird? Eigentlich nicht, wenn man die Überschrift ernst nimmt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Koalitionsvertrag auch klar vom Ziel der Dekarbonisierung spricht (S. 48), würde ich wirklich sagen, dass ich zu sensibel lese, oder?
Das kritischte Kapitel ist der Teil zur Innenpolitik. Sowohl Quellen-TKÜ als auch Vorratsdatenspeicherung (S. 61) und Kennzeichenüberwachung werden befürwortet. Auch die Stärkung des Verfassungsschutzes sehe ich skeptisch (S. 61). Body-Cams ebenfalls. Bei mir klingeln beim Wort „Kameraüberwachung“ einfach immer alle Alarmglocken, wenngleich ich noch zu wenig über Body-Cams weiß. Auch härtere Strafen gegenüber Straftätern, die Amtsträger attackieren, sehe ich problematisch: Warum sollte das Beleidigen/Schlagen eines Polizisten im Dienst stärker bestraft werden, als die gleiche Tat bei jedem anderen Menschen (oder beim gleichen Polizisten, außerhalb des Dienstes)?
Die Freiwilligen-Dienste bleiben leider ebenfalls bestehen. Ob hier der Fokus auf Prävention wirklich etwas wirkt? Immerhin: Es gibt eine klare Absage an Bürgerwehren, auch wenn manch Journalist durch die Freiwilligen-Dienste hier Tür und Tor geöffnet sieht. Die Kennzeichnungspflicht kommt leider auch nicht. Hier wird auf den Polizeibeauftragen verwiesen. Dieser muss sich aber erstmal beweisen. Ob er die Kultur innerhalb der Polizei verändern kann? Gerne gebe ich diesem Posten eine Chance, sehe aber schon das Problem, Straftäter innerhalb der Polizei zu identifizieren. Die sehen auf Demonstrationen halt alle gleich aus. Aber: Wenn sie sich dort ordentlich verhalten, braucht es die Kennzeichnungspflicht ja nicht?
Aber auch hier gibt es gute Punkte: So spricht der Koalitionsvertrag davon, dass neben Terrorismus und Wohnungseinbrüchen, fremdenfeindliche Gewalt ein Problem ist, das man angehen möchte (S. 59). Ich finde es wichtig, dass man sich – gerade auf Seiten der CDU – dazu bekennt, dass rechte Gewalt ein Problem darstellt, dass den Zusammenhalt und die Sicherheit aller hier lebenden Menschen gefährdet. Auch in der nächsten Legislatur soll ein NSU-Untersuchungsausschuss kommen. Dies finde ich auch gut, da hier noch lange nicht alles aufgeklärt ist und man hier weiter bohren sollte. Außerdem möchte man mehr Migrant*innen für die Polizei gewinnen. Auch das Alkoholverkaufsverbot soll endlich fallen. Auch im Bereich „geringe Menge“ von Cannabis soll etwas getan werden (S. 89).
Problematisch ist das Bekenntnis zum „Recht auf Vergessen“ (S. 71). Das funktioniert in der Praxis nicht und bisher wurde mit diesem Recht nur Schindluder betrieben. Finger weg davon! Interessant aber: Beim Datenschutz denkt man über ein Opt-In statt eines Opt-Outs nach (S.71).
Richtig wichtiger Punkt ist die geplante Änderung des Landtagswahlrechtes hin zu einem Listenwahlrecht (S. 68). Auch die Online-Petition (S. 67) soll kommen. Ein Lobbyregister soll ebenfalls geschaffen werden (S. 67).
Zum Abschluss gibt es noch ein kleines Stakkato folgender wichtiger Punkte: Eine Fleischkennzeichnung mit dem Vorbild der Eier möchte man weiter ins Auge fassen (S. 98), Die Rheintalbahn wird ausgebaut und die Belange der Menschen hier berücksichtigt (S. 111) und ein Semesterticket wird im Hinterkopf behalten (S. 114). Zuletzt: Ein großer Teil der Integrations-/Migrationspolitik wird ins Sozialministerium kommen. Da gehört es hin!
Zuletzt allgemeine Kritik: Die Sprache ist, aufgrund der Textarbeit in den einzelnen Fachgruppen, nicht wirklich rund. Das hat mich beim Lesen gestört. Auch, dass man hinter jedem Wort ein „4.0.“ klatscht, macht einen noch nicht modern. Wirkte auf mich ein wenig affig, aber vielleicht bin ich da einfach ein zu hunger Internet-Hüpfer?
Insgesamt ist der Koalitionsvertrag wirklich eine Grundlage, der ich zustimmen kann, wenngleich ich doch sehr hoffe, dass man in der Innenpolitik noch weiter Profil gewinnen wird. Denn das nehme ich auch mit aus der Regionalkonferenz und vielen Diskussionen: Es gibt bei uns Grünen kein Ministerium mehr, das wir nicht gerne selbst führen würden. Das freut mich, denn warum sollten wir uns vor bestimmten Themenfeldern drücken? Wir haben die letzten 5 Jahre gezeigt, dass wir viele Politikbereiche gut bespielen. Da gilt es nun weiter zu machen – gerade auch in der Innenpolitik.