Guten Abend zusammen,
mein Name ist Norbert und ich bin der arme Kerl, der das kürzeste Streichholz gezogen hat und deshalb hier oben stehen muss. Nein, selbstverständlich stehe ich gerne hier oben und habe die Ehre diesen Abend zu eröffnen und Sie später auch ein wenig durchs Programm zu führen und nun die Eröffnungs- oder Abitursrede zu halten. Je nachdem welchem Termini man eher zugeneigt ist.
Im Gegensatz zu mancher Frage von unserem Mathe-Lehrer Herrn G. sehe ich mich heute auch tatsächlich in der Lage etwas zu sagen. Wobei mir das Schreiben dieser Rede gar nicht so einfach fiel. Herr Hi. weiß wovon ich spreche. Er guckte ja sicherlich immer völlig verwundert auf meine Deutscharbeiten und hat bestimmt öfter mal paranoid die Wohnung nach weiteren Blättern durchsucht und gewühlt und auf den Kopf gestellt. Aber: Es sind oft wirklich nur 2 Blätter gewesen. Das reichte nicht immer für die Bestnote. Wir hatten Differenzen bezüglich des Umfangs einer Deutscharbeit und konnten diesen Streit bis heute nicht beilegen. Vielleicht gelingt es uns ja heute Abend bei einem Bier. Lassen Sie es uns versuchen, Herr Hi.!
Und so ist auch diese Rede vermutlich Herrn Hi. zu kurz. Dennoch empfehle ich gerade den Germanisten im Saal ein aufmerksames Zuhören. Denn: Die Abitursrede ist eine unterschätzte Gattung. In ihr kommen Schülerinnen und Schüler zu Wort und können Dinge loswerden, die sonst Noten kosten. Es ist die wohl freieste Textgattung, die es im Laufe der Schullaufbahn zu bearbeiten gilt. Das muss auch der Grund sein, warum man darauf gar nicht vorbereitet wird. Vermutlich ist auch die Angst einer Abrechnung zu groß. Denn von diesem Pult aus, kann man ja mal richtig vom Leder ziehen.
Doch dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Gut, wenn ich jetzt gefragt würde, wieviel Lehrer an unserer Schule arbeiten, würde ich als fachkundiger Lehrersohn (Ja, ich hatte eine sehr, sehr schwere Kindheit) mit einem flapsigen „Joa, etwa da Hälfte“ antworten, aber sonst gibt es keinen Grund unzufrieden zu sein. War doch ganz ok, so die letzten Jahre mit uns, ’ne?
Also saß ich am Rechner und es galt diese Rede zu schreiben. Und es gibt da ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Zum Einen die pathosgeladene Form à la „Ich weiß noch wie wir vor 2 Jahren in der Aula saßen. Wer hätte damals geahnt, dass wir jemals alle das Abitur in den Händen halten würden?“ Dann geht ein „Hachja, wie doch die Zeit vergeht“-Raunen der Gefühlsduseligen durch die Reihen und man hat das Publikum so gut wie auf seiner Seite.
Als Alternative bietet sich der große Bogen über das Weltgeschehen an. Man kann von hier oben über die globale Verantwortung von uns als Bildungselite dieses Landes philosophieren. Vielleicht noch etwas zum Klimawandel sagen und um Frieden bitten.
Ich habe mich dann für keine dieser Varianten entschieden.
Als Lehrersohn (Schwere Kindheit, Sie wissen schon!), habe ich ja durch Geburt einen Bildungsauftrag erhalten. Da bietet es sich doch an, mit einem Zitat in die Rede einzusteigen. Ich habe eines von Arthur Schnitzler gewählt: „Der Abschied schmerzt immer, auch wenn man sich schon lange auf ihn freut.“ Mit einem Zitat in die Rede starten kann aber jeder. Das ist so 08/15. Deshalb versuchen wir es mit Latein: Abitur. Was ist das eigentlich? Abitur? Abitur bedeutet „abgehen wollen“. Und genau das wollen wir: Weg!
Der Ein oder Andere verbringt jetzt erstmal ein Jahr im Ausland, andere planen ihr Studium, wieder andere gehen zurück in ihren Beruf. Uns alle eint: Wir wollen weg. Dabei war die Zeit hier an der Schule gar nicht schlimm. Ganz im Gegenteil: Wir haben lebensnotwendige Informationen erhalten, die wir jederzeit gebrauchen können. Informationen, die für unser Leben von eminenter Bedeutung sind.
So haben wir in Biologie bei Frau S. gelernt, dass es Ziegen gibt, die durch einen Genfehler beim Erschrecken einfach – wie tot – umkippen. Herr Hi. erklärte uns, dass alle Bücher wichtig sind – also alle die, die er selbst gelesen hatte und in Englisch haben wir gelernt, dass wir nicht jeden Tag frühstücken müssen, weil Frau F. immer irgendwie für uns gesorgt hatte.
Zwischenzeitlich fragte ich mich, Frau F., wo ich eigentlich bei der Anmeldung das Kreuz bei „Vollpension“ gemacht hatte. Das muss mir irgendwie durchgerutscht sein.
Nur Herr Hu. enttäuschte uns ein wenig: 2 Jahre Chemie und wir wissen immer noch nicht, wie man Chrystal Meth kocht. Bleibt uns also doch nur der Weg zu ehrlicher Arbeit. Schade eigentlich. Aber: Das Leben ist eben kein Ponyhof.
Aber auch die Lehrer haben von uns gelernt. Die Stadt Freiburg muss irgendwann, irgendwo Geld gefunden haben und erneuerte die Schulausstattung. In jedem Raum ein Beamer, Visualizer mit Rechner und verstellbarem Pult – vollgepumpt mit Technik. Man hatte das Gefühl, ein Limburger Bischof hatte die Klassenzimmer eingerichtet.
Nachdem der ganze Technikkram nun also in das Schulgebäude integriert war, war kein Geld mehr vorhanden, um die Lehrer an die moderne Technik heranzuführen. Uns Schülern blieb in Folge dessen, auch um den Unterrichtsbetrieb aufrecht zu erhalten, gar nichts anderes übrig, als selbst tätig zu werden. Und so erhielten wir die Möglichkeit uns erkenntlich zu zeigen und etwas zurückzugeben und auch unser Wissen mit verzweifelte Seelen zu teilen.
Nun gilt es auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, etwas zu geben. Nämlich etwas zu Essen. Der Ein andere Andere Magen mag vielleicht schon knurren und wir haben für sie erlesene Speisen aufgefahren. Ich gebe also hiermit das Buffet frei, mit dem Hinweis, dass nun eine Diashow mit einigen Bildern aus unserer Schulzeit ablaufen wird und möchte die Eltern warnen, dass sie ihre Kinder in Situationen vorfinden können, die man zurecht als stellenweise absurd bezeichnen kann. Die Lehrkräfte muss ich nicht warnen, die kennen das Elend ja schon.
In diesem Sinne: Ich wünsche Ihnen viel Spaß im Kreise Ihrer Liebsten und einen guten Appetit. Vielen Dank!